Fokus auf Smartphone-Generierung
Lebhafte Podiumsdiskussion zum Auftakt der Bildungstage München 2020
Von ANDREAS RITTER
Generation Smartphone: Wenn das Handy zum besten Freund wird“ lautete der Titel der Podiumsdiskussion am Donnerstag, 21. November, im Alten Rotation im Pressehaus Münchner Merkur/ tz.
Es war die Auftaktveranstaltung zu den Bildungstagen München, die am Samstag und Sonntag, 25. und 26. Januar 2020, im Pressehaus stattfinden.
Führt der Einsatz digitaler Medien unter jungen Menschen zu einem Rückgang der Brutto- und Feinmotorik, zu Konzentrationsschwäche und mangelnder Empathie? Oder ist die mediengewinnende Kompetenz als Ergebnis gleichbedeutend mit zukunftsfähiger Kompetenz? Wie viel Smartphone ist gut für junge Menschen? Die Meinungen der Experten auf dem Podium gingen in diesen Fragen weit auseinander. So sahen die Besucher des Pressehauses eine äußerst lebhafte Runde der Eröffnungsveranstaltung der Bildungstage München 2020
Auf dem Podium diskutierten Philosophieprofessor Matthias Rath, Landesschulsprecher Joshua Grasmüller, Psychiaterin Dr. Susanne Pechler, Medienpädagoge Sebastian Ring und der Unternehmer Philipp Depiereux, der seine Kinder völlig frei von Smartphones und Tablets. Moderiert wurde die Runde von Angelika Beranek, Professorin mit Schwerpunkt M
edienpädagogik an der Fachhochschule München.
Kinder ohne Smartphone erziehen
„Als Eltern müssen wir mutig sein, uns gegen den Mainstream zu entscheiden“, sagte Philipp Depiereux. Als Gründer und Geschäftsführer von etventure, einem Beratungsunternehmen für digitale Transformation für Unternehmen, ist er ein konsequenter professioneller Treiber des digitalen Wandels, aber in seinem Privatleben ist er genau das Gegenteil: Weil seine Kinder ohne “ digitale Geräte“ – und sie fühlten sich wohl mit ihnen, betonte Depiereux bei der Auftaktveranstaltung.
„Kinder bis zehn oder elf Jahre sollten kein Smartphone benutzen“, sagte er und verwies auf Erkenntnisse von Hirnforschern, Lehrern und Medienwissenschaftlern. Natürlich ist das nicht immer einfach, zum Beispiel, wenn es darum geht, sich gegen das Plaudern in der Schule auszusprechen. Er hat auch klare Vorstellungen davon, was er mit anderen Eltern machen soll, wenn seine Kinder sich mit ihren Nachkommen treffen.
Freizeit muss „digital kostenlos“ verbracht werden. „Wenn das nicht funktioniert, werde ich mit den anderen Eltern darüber sprechen“, sagte Depiereux. Im Alter von 15 Jahren, so der Plan, wird seine Tochter ein eigenes Smartphone bekommen. Er will sie aber gut darauf vorbereiten, sie auf ihrem Weg ins Internet und im Umgang mit digitalen Medien begleiten. Zum Beispiel sollte sie lernen, wie man das Internet richtig für die Forschung nutzt und wie man Fake News erkennt. Depiereux war übrigens nicht der Einzige im Saal der Auftaktveranstaltung, der seine Kinder „digital-frei“ erzog. Die Eltern im Publikum teilten seine Position, wie sich in der anschließenden Fragerunde herausstellte.
Digitalisierung ist keine Option, sondern eine Tatsache
Jedes neue Medium werde zunächst kritisch untersucht und oft an seinen negativen Aspekten gemessen, sagte Professor Dr. Dr. Matthias Rath, Philosoph, Medienwissenschaftler, Pädagoge und Professor für Philosophie an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg. Dies war im Laufe der Geschichte immer wieder der Fall. Noch im 18. Jahrhundert galten Bücher als schädlich, vor allem für das weibliche Geschlecht, sagte er und nannte ein Beispiel aus der Geschichte, das aus heutiger Sicht völlig unverständlich ist.
Laut dem Professor und Vater von fünf Kindern ist es wichtig, Kindern Richtlinien und Unterstützung zu geben. „Digitalisierung ist keine Option mehr, sondern eine Tatsache“, sagte Rath. „Digitale Medien sind ein Teil der Welt.“ Deshalb muss man seine Kinder damit konfrontieren, „wie mit Tannenzapfen, einem Buch oder der Möglichkeit, einen Somersault zu machen“. Seiner Meinung nach wäre es nicht sinnvoll, Kindern erst im Alter von 18 Jahren zu erklären, dass es draußen Straßenverkehr gibt. Vielmehr ist es notwendig, sie rechtzeitig vorzubereiten.
Gleichzeitig müssen Eltern ihre Kinder stark im Umgang mit den neuen digitalen Möglichkeiten und deren Auswirkungen machen. „Medien sind nicht schuld an dem, was in Chats geschrieben wird“, sagt der Professor, aber junge Leute sollten selbstbewusst genug sein, solche Chats im Zweifelsfall zu verlassen. Rath warnte jedoch während der Auftaktveranstaltung davor, Eltern mit digitaler Bildung allein zu lassen. „Hier kommen auch Bildungseinrichtungen ins Spiel.“
Als Ärztliche Direktorin der Medienambulanz am kbo-Isar-Amper-Klinikum in München kenne sie zahlreiche Problemfälle, berichtete Dr. Susanne Pechler, die dort unter anderem Ansprechpartnerin für Mediensüchtige ist. Sie betonte jedoch: „Medien per se sind keine Krankheit. Sie sind nicht allein schuld, das Problem ist oft viel komplexer, und es gibt eine weitere Ursache für einen fragwürdigen Medienkonsum. In den betroffenen Familien erleben sie oft große Unsicherheit. Eine typische Frage ist zum Beispiel: Wie viele Minuten Bildschirmzeit sollte ich meinem Kind erlauben? „Es gibt keine richtige Antwort auf diese Frage, die für alle gilt“, sagt Pechler.
Familien sollten zunächst ihre Einstellung zu digitalen Medien überprüfen: Läuft das Fernsehen beim Abendessen, ist das Smartphone immer handlich und haben die Kinder andere Freizeitinteressen als digitale Medien? Immer wieder erleben sie ein „seltsames Belohnungssystem“ in Familien, in dem Kindern beispielsweise zehn Minuten mehr Bildschirmzeit gewährt würden, wenn sie etwas Gut machten.
Generell rät Pechler zu einem vorsichtigeren Umgang mit dem Begriff Sucht, denn nicht jeder Mediengebrauch bedeutet einen pathologischen Konsum. Wenn jedoch ernste Probleme auftreten“, sagt der Psychiater, „sollten Eltern keine Angst davor haben, Beratungs- und Unterstützungsdienste in Anspruch zu nehmen“.
Beratung für Eltern: Überprüfen Sie auch Ihre eigene Mediennutzung
Für Sebastian Ring, Leiter des Medienzentrums München des JFF – Institut für Medienpädagogik, ist es wichtig zu unterscheiden, was Kinder und Jugendliche mit ihrem Smartphone machen. „Das Smartphone ist ein Multimedia-Jack-of-all-Trades“, sagte er. Junge Leute nutzen es als Foto- und Videokamera, Spielkonsole und Kommunikationsmittel, aber für Kinder, sagte er, sind nur Spiele in erster Linie interessant.
Bei jungen Menschen kann ein Smartphone durchaus nützlich sein, aber es ist weniger empfehlenswert, die Kleinen auf dem digitalen Weg ruhig zu halten, sagt Ring. Die Rolle der Eltern im Umgang mit digitalen Medien dürfe auf keinen Fall unterschätzt werden, betonte er bei der Auftaktveranstaltung. Schließlich sind Eltern immer Vorbilder. Zum Beispiel, sagte er, Kinder sehen zuerst, wie sie mit Smartphones und Tablets umgehen und auch, welche Möglichkeiten die Geräte bieten.
Grundsätzlich gilt: „Je präsenter das Smartphone in der Familie ist, desto interessanter wird es auch für die Kleinen“. Eltern sollten daher die Mediennutzung kritisch hinterfragen, nicht nur ihrer Kinder, sondern auch von sich selbst. Übrigens, so Ring, kann sogar „Daddling“ okay sein. „Nicht alles muss Sinn machen.“
Kindern schon früh Verantwortungsbewusstsein vermitteln
Joshua Grasmüller, Landessprecher der Gymnasien in Bayern, sieht den Verlust analoger Fähigkeiten durch Smartphones und Tablets bei jungen Menschen nicht, schränkt sie aber ein: „Meine Generation hatte aber noch kein Tablet im Kinderwagen. Er hielt es für wichtig, den Jugendlichen zunächst analoge Fähigkeiten zu vermitteln und erst dann auf digitale Medien umzusteigen. „In der Grundschule sollten die Kinder weiterhin Bücher lesen dürfen und nicht gleich eine Tablette in die Hände eines jeden Erstklässlers legen dürfen“, sagte Grasmüller bei der Auftaktveranstaltung. Er sagte jedoch, dass man nicht früh genug anfangen könne, um Kindern verantwortungsvolle Beherrse zu vermitteln.
In der Frage eines eigenen Schulfachs zur Nutzung digitaler Medien herrschte bei der Eröffnungsveranstaltung weitgehend Einigkeit im Gremium: Medienerziehung gehört ebenso wie soziale Kompetenz zu den Querschnittsbereichen. Sie müssen von jedem Lehrer in jedem Fach unterrichtet werden. Dies setzt aber auch voraus, dass die Aus- und Weiterbildung der Lehrer entsprechend ausgerichtet wird.
Bildergalerie
Panelists:
Dr. Susanne Pechler
Zur Person
Dr. Susanne Pechler, Ärztliche Leitung der Medienambulanz am kbo-Isar-Amper-Klinikum in München
Die Medienambulanz am kbo Isar-Amper-Klinikum fungiert als Anlaufstelle, wenn die virtuelle Welt die Realität zunehmend verdrängt.
Mit verschiedenen Therapieansätzen helfen die Medienambulanz medienabhängigen Menschen, wieder eine Balance zwischen Mediennutzung, Alltagsbewältigung und zwischenmenschlichen Beziehungen zu finden.
Philipp Depiereux
Zur Person
Philipp Depiereux – Gründer & Geschäftsführer von etventure, Initiator & Moderator von ChangeRider, gefragter Keynote Speaker auf Events aus Politik & Wirtschaft und Vater von vier Kindern.
Beruflich konsequenter Treiber von digitalem Wandel, privat das exakte Gegenteil: seine Kinder wachsen ohne digitale Geräte auf. Das älteste Kind zudem gerade in einem Alter, wo Smartphone & Co. den Alltag.
Spannend zu hören, wie er beide Welten verbindet bzw. wie es ihm gelingt, sie strikt zu trennen.
Sebastian Ring
Zur Person
Sebastian Ring, Leiter des Medienzentrums München des JFF – Institut für Medienpädagogik
Sprecher des Netzwerks der Medienzentren im deutschsprachigen Raum FRAME, Sprecher der Landesgruppe der GMK – Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur
Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählen die Themenbereiche Heranwachsen und digitale Medien (insbesondere Internet und Computerspiele), Medienethik, Partizipation und Vernetzung.
Joshua Grasmüller
Zur Person
Landesschülersprecher für Gymnasien in Bayern
Vertreter der Generation Smartphone, das Smartphone zwar häufig nutzt, aber auch froh ist, das Gerät mal für ein paar Stunden zur legen Seite zu können, um die Ruhe zu genießen.
Für ihn ist das Smartphone zwar ständiger Begleiter im Alltag, doch deshalb noch lange nicht der beste Freund.
Prof. Dr. Dr. Matthias Rath
Zur Person
Prof. Dr. Dr. Matthias Rath ist Philosoph, Medienwissenschaftler, Pädagoge und Professor für Philosophie an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg.
Dort leitet er u.a. die Forschungsstelle Jugend – Medien – Bildung, in der Zusammenhänge zwischen Mediennutzung und Bildungsprozessen werden.
Seine Forschungsschwerpunkte sind u.a. Medienethik, empirische Medien- und Medienbildungsforschung. In mehreren Studien hat Professor Rath die Chancen und Risiken der Nutzung digitaler Medien für Kinder und Jugendliche und die Bedingungen einer gelingenden Medienerziehung empirisch und ethisch untersucht.
Prof. Dr. Angelika Beranek
Zur Person
Prof. Dr. Angelika Beranek, Professorin mit der Medien Schwerpunktbildung an der Hochschule München.
Dort leitet Sie u.a. das Medium I kultur I lab. Frau Professor Beranek war mehr als zehn Jahre in der medienpädagogischen Jugendarbeit tätig und lehrte an der Pädagogischen Hochschule Schaffhausen. Ihre Forschungsbereiche sind Einflüsse der Mediatisierung auf die Theoriebildung der Sozialen Arbeit, Medienerziehung, ethische Aspekte algorithmischerprozesse Entscheidungen und vieles mehr.