Wer sich bisher noch Illusionen über Datenschutz und Privatsphäre bei TikTok machte, muss neu nachdenken. Denn die bei Kindern und Jugendlichen extrem populäre chinesische Videoplattform räumt sich in den Datenschutzrichtlinien ein neues Recht ein.

Die Daten der europäischen Nutzer von TikTok sollen erstmals offiziell unter anderem nach China übertragen werden. Bisher hatte TikTok die Informationen zu seinen über 100 Millionen Verwendern in Europa, darunter schätzungsweise 22 Millionen in Deutschland, nach eigenen Angaben in den USA und Singapur gespeichert. Das ändert sich jetzt.

Von TikToks europäischer Datenschutz-Chefin Elaine Fox heißt es dazu: „Basierend auf einer nachweislichen Notwendigkeit, ihre Arbeit zu erledigen, und vorbehaltlich einer Reihe zuverlässiger Sicherheitsmaßnahmen und Genehmigungsprotokollen, die gemäß der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) anerkannt sind, erteilen wir ausgewählten MitarbeiterInnen des Unternehmens in Brasilien, Kanada, China, Israel, Japan, Malaysia, den Philippinen, Singapur, Südkorea sowie den Vereinigten Staaten Fernzugriff auf die entsprechenden Daten.“ TikTok-Managerin Fox begründet dies mit der Notwendigkeit, die Plattform „einheitlich, freudvoll und sicher“ zu halten. Da TikTok-Betreiber Bytedance eng mit dem Regime – und damit mit der Propaganda der Kommunistischen Partei – in Peking verwoben ist, gilt das Abfließen der Informationen nach China unter Datenschutzexperten als hochproblematisch. So war zuletzt bekannt geworden, dass mindestens 300 Byte-dance-Angestellte zuvor für den Staatsapparat gearbeitet haben. Einige von ihnen sollen dies bis heute tun, neben ihren offiziellen Tätigkeiten für die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua oder den TV-Sender CCTV.

Wenn TikTok „nach Hause telefoniert“, erhält das Regime in Peking über die Videoplattform direkten Zugriff auf Millionen junger Menschen im Westen, die es mit der seit Jahren perfektionierten Auswahl und Zusammenstellung seiner Clips auch politisch beeinflussen kann. Denn gerade für Kinder und Jugendliche ist TikTok mittlerweile häufig das zentrale Medium, um sich über Politik und Zeitgeschehen zu informieren.

Studien haben bereits mehrfach nachgewiesen, dass TikTok vor Wahlen zum Streuen von Falschinformationen benutzt wird. Zudem verbreiten immer mehr rechtspopulistische Politiker ihre Propaganda über die Plattform. So behauptete der AfD-Bundestagsabgeordnete René Springer laut der Wiener Zeitung „Standard“ auf TikTok, ein Beschluss der Bundesregierung mache es „ukrainischen Flüchtlingen möglich, direkt ins deutsche Hartz-IV-System einzuwandern“. Dafür erhielt er mehr als 200 000 Likes.

Eltern sollten den TikTok-Konsum ihres Nachwuchses also genauer denn je beobachten und mit ihren Kindern über Hintergründe und Methoden der vermeintlichen Spaß-Plattform sprechen, die in Wahrheit eher eine Staats-Plattform ist. Ob das hilft? Kommentator Alexander Amon vom Wiener „Standard“ ist skeptisch: „Datenschutz interessiert die meisten Menschen nicht. Vor allem Jugendliche haben oft die Einstellung, es sei eh alles schon über sie im Internet, wozu also auf die hippste App im Netz verzichten?“ Sie vergessen dabei aber, dass alles, was sie auf TikTok tun und zeigen, Jahre oder Jahrzehnte durchs Netz geistern und ihnen irgendwann zum Verhängnis werden kann. Zudem sind Daten, die außerhalb der EU mit ihren relativ strikten Vorschriften geraten, kaum mehr zu kontrollieren und können fast beliebig weitergegeben oder weiterverkauft werden.

VON JÖRG HEINRICH
Foto: PIXABAY/GERALT