Die vergangenen Monate während der Pandemie haben Schülern, Lehrern und Eltern einiges abverlangt. Auch in den Privatschulen verbrachten Schüler und Schülerinnen viele Wochen vor dem Computer im Distanzunterricht. Wir haben uns mit Gerhard Helgert vom Verband deutscher Privatschulverbände über seine Erfahrungen und Erwartungen an die Schule nach Corona unterhalten.
Herr Helgert, während des ersten Lockdowns im Frühjahr gelang es vor allem den privaten Schulen, sich schnell auf die neue Situation einzustellen und ohne große Unterbrechung den Unterricht online fortzusetzen. Woran lag das?
Helgert: Wir haben unsere Mitgliedsschulen befragt und überall lief es überraschend gut. Es gibt bei uns einfach kurze Entscheidungswege: Als die Nachricht kam, dass wir schließen und auf andere Unterrichtsformen umstellen müssen, haben wir sehr schnell reagiert. Die Umsetzung auf die digitalen Unterrichtswege verlief enorm zügig. Das lag auch daran, dass sich nicht nur unsere Mitarbeiter, sondern auch die Eltern und Schüler sehr mit unseren Einrichtungen identifizieren. Und natürlich sind unsere Lehrer methodisch und didaktisch durch entsprechende Schulungen digital vorgebildet: Wir hatten ein Medienkonzept in Arbeit und das hat sich gelohnt. Es gab schon vorher immer wieder Arbeit am Computer bis hin zu Tablet-Klassen an diversen Schulen. Die Kinder und Lehrer waren deshalb sehr gelassen. Aber: Dass das alles auch bei uns nicht nur immer romantisch war, können Sie sich vorstellen, doch die Flexibilität und das Teamwork der Lehrer – auch in der Materialvorbereitung und im Austausch – war gut.
Welche Erfahrungen wurden in Privatschulen während des Distanz- oder Hybridunterrichts gemacht?
Helgert: Das Erste, was wir gemerkt haben und was uns genützt hat, ist, dass wir flexibel reagieren konnten. Es war mehr möglich, als wir vorab gedacht haben. Der Schulalltag konnte trotz der veränderten Bedingungen gut dargestellt werden: Wir haben eins zu eins den Lehrplan abgedeckt. Auch unsere Förderkurse konnten weiter umgesetzt werden. Es funktionierte aber nicht nur technisch gut, sondern auch die Projekt- und Gruppenarbeit klappte wunderbar mit dem technischen Equipment. Unsere Schüler sind ja trainiert im selbstständigen Arbeiten oder im gegenseitigen Unterstützen. So ist mehr entstanden als frontales Berieseln. Sogar der digitale Sportunterricht klappte: Da wurde per Video gemeinsam über Sofas gesprungen, das Treppenhaus hoch und runter gelaufen und dabei, wenn es geht, noch die eine oder andere Vokabel wiederholt – der Sportlehrer hat also sogar fächerübergreifend gearbeitet. Dazu muss man sagen: Unsere Schüler haben – differenziert in den unterschiedlichen Altersklassen – freiwillig ihre Kameras an.
Entstanden dennoch Lerndefizite bei einigen Schüler/innen? Wie wurden Lücken ausgeglichen?
Helgert: Zunächst muss man sagen: Die Defizite sind bei uns nicht so extrem, wie wir sie in den öffentlichen Medien gelesen haben. Aber es war klar, dass die Schüler und Schülerinnen Angst davor haben, allein gelassen zu werden. Jetzt waren sie ja in der Distanz. Da mussten wir als Erstes die häusliche Infrastruktur, zum Beispiel mit Leihgeräten, verbessern. Die Strategie war, dass kein Kind verloren geht. Und natürlich gibt es auch bei uns Kinder – das merken wir an zurück gesendeten Arbeiten und persönlichen Kontakten – bei denen es zu Defiziten gekommen ist. Da müssen wir dann so schnell wie möglich wieder Beziehungen aufbauen: mit Einzelgesprächen, Einzelstunden und Erklärvideos, die von unseren Lehrern selbst erstellt wurden. Es macht einen großen Unterschied, ob die Schüler irgendein staatliches Video ansehen, oder ob das von einem unserer Lehrer, beispielsweise mit seiner Frau, aufgenommen wurde. Die Beziehung zum einzelnen Lehrer ist entscheidend, dann funktioniert der Distanzunterricht. Und außerdem gibt es seit dem ersten Lockdown Ferienprogramme mit speziellen Einheiten für jedes Fach.
Wie ging es nach dem ersten Lockdown weiter, welche digitalen Konzepte wurden in den Schulen erarbeitet?
Helgert: Die Nutzung digitaler Lernplattformen hat sich deutlich verstärkt. Sie ist für Lehrer und Schüler noch selbstverständlicher geworden. Vor allem das „digitale Klassenzimmer“, Chats und Lernfilme sind seitdem im Lernalltag wesentlich deutlicher verfestigt.
Welche digitalen Anwendungen und Möglichkeiten kommen in Privatschulen im Fernunterricht zum Einsatz? Was soll davon auch weiter genutzt werden?
Helgert: Da gibt es natürlich heiße Diskussionen. Das ist von Privatschule zu Privatschule unterschiedlich. Wir haben Schulen, die haben sehr reformpädagogisch ausgelegte Konzepte. Andere sind freier und überlegen, ob sie in der Schule bis zu 40 Prozent digitale Möglichkeiten weiter nutzen möchten. Zum Beispiel Live-Streaming innerhalb verschiedener Klassen oder der Austausch von Medien in einem digitalen Material-Pool. Das wird meiner Meinung nach auf alle Schulen zukommen! Denn die Schüler lassen sich das nicht mehr nehmen. Sie alle kommen anders zurück aus den Distanzunterrichtsphasen. Sie sind selbstbewusster und auch selbstständiger. Man sollte das nutzen. Wir wollen nicht zurück zum rein klassischen Frontalunterricht.
Wie wichtig ist für Privatschulen die Erkenntnis, dass Digitalisierung nicht alles ist, sondern zum Lernen auch andere Aspekte gehören – etwa soziale Interaktion?
Helgert: Fangen wir mit dem Gebäude an: Die Schüler sehnen sich nach ihrem „Zuhause“, die Schulgebäude bleiben die zentralen Lernorte. Aber als Orte, an denen soziale Kontakte geknüpft und gepflegt werden. Gerade die privaten Schulen sind meistens kleiner, sie leben vom sich – gegenseitig – kennen und treffen und der Nähe. Das geht am besten im eigenen Schulhaus – analog und live. Unsere Schüler freuen sich riesig, dass sie sich jetzt bald wieder treffen dürfen. Gerade die Kinder, die in der Distanz sehr gelitten haben, die brauchen auch mal ein „Handauflegen“. Und ein „digitales Handauflegen“ ist nun mal schwierig (lacht).
Herr Helgert, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Diana Thies-Kuchenbecker