„Diese Serie ist nicht für Kinder gedacht“

Medienexpertin Charlotte Horsch zum Hype um die Netflix-Produktion „Squid Game“

Der Rummel um die NetflixSerie „Squid Game“, in der hochverschuldete Menschen in Spielen gegeneinander antreten und die Verlierer sofort exekutiert werden, reißt nicht ab. Eigentlich für Erwachsene produziert, zieht sie vor allem Kinder in ihren Bann. Wie mit den faszinierten Kindern umgehen. Dazu sprach Katrin Basaran, Redakteurin der Mediengruppe Münchner Merkur tz, mit Charlotte Horsch vom Münchner Institut für Medienpädagogik (JFF).

Sie haben „Squid Game“ schon von Berufs wegen gesehen. Können Sie den Hype nachvollziehen?
Die Serie liefert ja einiges, mit dem man sich befassen kann. Da ist zum einen die Kombination aus bekannten, eigentlich harmlosen Kinderspielen mit drastischen Bestrafungen. Dazu kommt eine versteckte Kapitalismuskritik, Psychologie und so weiter. Insofern kann ich die Faszination schon verstehen. Obwohl dieser Erfolg der Serie ja selbst Netflix überrascht haben soll.

Warum aber kommt die Serie ausgerechnet bei älteren Kindern und Jugendlichen so gut an?
Das liegt vermutlich an den Sozialen Netzwerken. Auf Tiktok, Instagram oder auch Youtube gibt es mittlerweile eine Vielzahl von Videos, welche die Serie auch parodieren. Da wird zum Beispiel gezeigt, wie sich Tiktoker bei „Squid Game“ verhalten würden. Auf der Spieleplattform Roblox, auf der viele Kinder und Jugendliche unterwegs sind, wurde ein „Squid Game“-Spiel entwickelt. Das bedeutet: Auch wenn Eltern sehr vorsichtig sind und auf Netflix die Kindersicherung aktiviert haben, kommen ihre Kinder womöglich durchs Zocken, Social Media oder ihre liebsten Influencer, die „Squid Game“ thematisieren, mit der Serie in Berührung.

Man kann den Kontakt als Elternteil also kaum verhindern. Wie dann damit umgehen?
Erster Schritt für Eltern sollte es sein, Informationen über die Serie zu sammeln. Wir bieten zum Beispiel via „Flimmo“ ein Angebot aus Hintergründen und Umgangstipps. Vielleicht schaut man auch mal selbst in „Squid Game“ hinein – ohne Kind natürlich. Ein anschließendes Gespräch mit dem Nachwuchs sollte unbedingt auf Augenhöhe stattfinden. Das heißt, Eltern sollten genau erklären, warum sie gegen den Konsum der Serie sind. Mein Tipp: Sie sollten es nicht einfach mit dem Alter begründen, sondern lieber sagen: „Es tut dir nicht gut, die Szenen zu sehen. Es kann dir nahegehen, dich wirklich belasten. Da sind Bilder dabei, die du noch nicht verkraften kannst.“ Wenn „Squid Game“ auf dem Schulhof oder in der Klasse Thema ist, sollte man sich mit anderen Eltern austauschen. Man könnte die Lehrkräfte einbeziehen, die den Umgang mit der Serie vielleicht im Unterricht thematisieren und dort über Grenzen und Werte sprechen.

Wenn das Thema ein Dauerbrenner in der Familie oder auf dem Pausenhof bleibt, vielleicht sogar zu Konflikten führt – was dann?
Mit älteren Kindern oder Jugendlichen könnte man eventuell mal gemeinsam und in ausgesuchte Sequenzen der Serie hineinschauen. Aber dabei bitte das Kind gut im Auge behalten und das Abspielen notfalls stoppen. Auf keinen Fall den Nachwuchs damit allein lassen!

Wäre es nicht einfacher, diese Art Serien generell zu verbieten?
Ich bin prinzipiell gegen Verbote. „Squid Game“ wendet sich ja in erster Linie an Erwachsene, ist aber leicht abrufbar. Daher nochmals: Richten Sie als Eltern unbedingt immer die Kindersicherung ein – auch im Hinblick auf andere Themen wie etwa Pornografie.

Vor den Ferien gab es Berichte, auf Pausenhöfen sei es beim Nachspielen von „Squid Game“ zu Gewalt gekommen. Könnten diese eine Woche schulfrei den Hype gebrochen haben?
Darauf vertrauen oder einfach aussitzen kann man so einen Hype nicht. Und die Spiele an sich sind ja auch noch nicht problematisch,
erst die möglichen Restriktionen für die Verlierer. Ich möchte die Lehrkräfte da eher ermutigen, bei den ersten Anzeichen von Gewalt
einzugreifen und aufzuarbeiten, auch deutliche Grenzen und Regeln zu setzen. Es gilt ja zu verhindern, dass unter den Schülern eine Art Gruppenzwang entsteht.

Sie sagten, man solle einerseits mit Kindern über Werte sprechen. Kollidiert das andererseits nicht mit der natürlichen Neugier der Jugendlichen?
Nun bin ich keine Psychologin. Aber ich denke, man sollte die Neugier auf jeden Fall ernstnehmen und Verständnis zeigen. Jeder möchte mitreden können, daran teilhaben. Gleichzeitig kann man mit den Kids aber sehr wohl diskutieren: Wie viel ist ein Menschenleben wert, wie wird es in der Serie dargestellt, wie handhaben wir das in unserer Gesellschaft, könnte so etwas auch bei uns stattfinden und wie kann man sich dagegen positionieren?

Auch das Merchandising rund um die Serie ist ein Thema. Wie reagiert man, wenn sich das Kind etwa einen der grünen Trainingsanzüge der „Squid-Game“-Kandidaten vom Christkind wünscht?
Ich würde Eltern raten, in ihren Regeln stringent, eindeutig und konsequent zu sein. Da die Serie nicht für Kinder gedacht ist, sollten auch weitere Elemente der Serie keinen großen Raum im Alltag einnehmen. Und manchmal hilft es schon, nachzufragen, ob der Jugendliche so etwas wirklich in der Öffentlichkeit tragen will.

Das Gespräch führte Katrin Basaran.

Quelle: Münchner Merkur, Nr. 259, 09. November 2021